Oliver Erdmann Honda Africa Twin am Hafen von Morska Prystań
Der Autor auf seiner Honda Africa Twin am winzigen Hafen von Morska Prystań auf der Frischen Nehrung. © Oliver Erdmann

Auf dem Motorrad nach Polen: das Hinterland, Masuren und die Ostseeküste

Auf geht’s! Meine neue Honda Africa Twin wartet bereits mit frisch geölter Kette ungeduldig vor der Tür. Unser Plan? Von Hamburg immer ostwärts auf zwei Rädern, bis wir die masurische Seenplatte erreichen, danach Richtung Norden eindrehen und am Frischen Haff einen Blick auf die Ostsee werfen. Danach dann die Küste entlang den Heimweg antreten. Vorgebucht haben wir nichts, sondern vertrauen drauf, dass wir in der Nachsaison, es ist Anfang September, schon was finden werden. Schließlich habe ich dafür genügend Apps auf meinem Handy. Ach ja, Autobahnen sollen tunlichst gemieden werden- wir wollen auf unserem Roadtrip ja nicht über eintönige Schnellstraßen hetzen, sondern Land und Leute kennenlernen.

Die erste Etappe einer Motorradreise ist immer zum Kilometer machen da, um den Alltag und die gewohnte Umgebung schnell hinter sich zu lassen. Auf der B5 geht es durch die herrlichen Elbtal-Auen über Lauenburg, Boizenburg und Ludwigslust rüber nach Meck-Pomm, wir kreuzen erst die A 14 und später auch die A 24, fahren jetzt längst durch Brandenburg. Plötzlich geht’s nur noch langsam voran, auf der B 167 stauen sich die LKW Stoßstange an Stoßstange, irgendeine Autobahn in der Gegend muss gesperrt sein. Das Thermometer im Cockpit zeigt 30 Grad, das T-Shirt klebt auf der Haut. Mein Hintern brennt und die Knie schmerzen- ich muss mich erst wieder ans Motorradfahren gewöhnen, befürchte ich. Irgendwann fahren wir schließlich an unserer modernen Unterkunft mit Self-Check-in in Eberswalde vor.

Die Straße ist noch nass vom morgendlichen Regen, dann klart der Himmel aber vollends auf und schon bald lugt sogar die Sonne zwischen den Wolken hervor. Entspanntes Fahren durch stille Ortschaften der Mark Brandenburg: weitläufige, sandige Ackerflächen und zwischendurch auch mal duftende Kiefernwälder. Hinter Bad Freienwalde überqueren wir auf einer spannenden Stahlkonstruktion die Oder- und sind in Polen. Grenzkontrollen? Heute Fehlanzeige. Beide Seiten stehen bereit, mehr aber auch nicht.

Es gibt sie tatsächlich noch, die typischen „Polenmärkte“ direkt hinter der Grenze: Tankstellen, Kaminholz, Shops mit billigen Zigaretten, Alkohol und allerlei sonstigem, unnützen Krimskrams. Nach dem obligatorischen Tankstopp fahren wir weiter. Die Orte scheinen noch verlassener, als auf der deutschen Seite der Oder. Kaum jemand lässt sich auf der Straße blicken. Die Landschaft auch hier auf eine unspektakuläre, sanft geschwungene Weise reizvoll. Äcker und Wälder im Wechsel.

Nach insgesamt 120 km erreichen wir unser heutiges Tagesziel: Gorzow Wielkopolski, das bis 1945 noch Landsberg a. d. Warthe hieß. Eine eher gesichtslose Stadt in der Woiwodschaft Lebus. Einzige Sehenswürdigkeit ist die im 13. Jahrhundert gebaute Marienkathedrale am Alten Markt.

Verregnete „Arbeitsetappe“ durch das polnische Hinterland

Der graue Himmel bleibt wolkenverhangen, der heutige Fahrtag wird regnerisch. Das nasse und schnurgerade, langweilige Asphaltband vor uns durchschneidet eintönige, großflächige Felder, nur hin und wieder durchbrochen von bewaldeten Abschnitten und unscheinbaren Ortschaften- eine „Arbeitsetappe“. Bygdoszcz, das ehemalige Bromberg, ist trotz des miesepetrigen Regenwetters eine positive Überraschung. Unsere stilvolle Unterkunft liegt ganz in der Nähe der vom Fluss Brda (Brahe) umschlossenen Mühleninsel und der gepflegten kleinen Altstadt. In der Trattoria „Dolce Vita“ finden wir einen versöhnlichen Abschluss mit unserem „Arbeitstag“.
Fluss Brahe Mühleninsel Bromberg
Der Fluss Brahe (Brda) umschließt die Mühleninsel in Bromberg (Bydgoszcz). © Oliver Erdmann

Am nächsten Tag: Das Navi ignoriert geflissentlich die Einstellung „Autobahnen vermeiden“ oder kennt die gut ausgebaute S5/E261 nach Swiecie noch nicht. Wie auch immer, die ersten 50 Kilometer rauschen mit hoher Geschwindigkeit nur so an uns vorbei- viel zu sehen gibt es ohnehin nicht. Dann sind wir zumindest wieder auf Landstraßen unterwegs. Das Wetter weiterhin ziemlich grau und trist, genauso wie die Landschaft um uns herum.

Bemerkenswert: In Polen halten sich die Autofahrer mehr als streng an die Verkehrsregeln. Vor jedem Stoppschild wird brav bis zum kompletten Stillstand angehalten und wenn sich ein Blitzer ankündigt, die Geschwindigkeit auf Schneckentempo gedrosselt. Auch wenn ein gemütlich vor sich hin tuckernder Traktor mit zwei Anhängern voller Stroh den fließenden Verkehr fast zum Erliegen bringt, werden keine waghalsigen Stunts gedreht. Das hatte ich ehrlicherweise so nicht erwartet- Respekt und Anerkennung für die polnische Verkehrserziehung!

Masuren Wälder Wiesen Seen
Masuren: dichte Wälder, grüne Wiesen und unzählige Seen. © Oliver Erdmann
Hinter Ostróda (Osterode) ändert sich auf einmal das Bild um uns herum: Anstatt abgeerntete Felder und Äcker, durchfahren wir nun dichte Wälder mit hohen Bäumen, dazwischen grüne Wiesen. Ein Schild weist uns auf kreuzende Elche hin. Bald erreichen wir Olsztyn, Hauptstadt der Woiwodschaft Ermland-Masuren. Bis 1945 hieß die Stadt noch Allenstein und gehörte zu Ostpreußen.
Masuren erfahren und entdecken- nicht weniger steht heute auf dem Programm. Wir verlassen Olsztyn auf der S3 nach Südosten in Richtung Szczytno, drehen dann den Kompass auf Nordost (S8). Die Kurven sind locker und fluffig, die Sonne strahlt vom Himmel mit mir um die Wette- nicht nur die Africa Twin schnurrt also glücklich vor sich hin. Fahrspaß pur! Rechts und links des Weges ziehen hohe Kiefern und kräftige Laubbäume, mitunter durchsetzt von kleinen Birkenhainen, frisch gemähte Wiesen und abgeerntete Felder an uns vorbei. Ab und zu schimmern Seen und Bäche zwischen den dunklen Wäldern hervor. Hinter Piecki biegen wir nach rechts auf eine schmale, holprige Asphaltpiste ab und durchqueren nun den nahezu unberührten, im Jahr 1977 gegründeten, masurischen Landschaftspark.
Schmale Asphaltpisten im masurischen Landschaftspark
Auf schmalen Asphaltpisten durch den masurischen Landschaftspark. © Oliver Erdmann
Im Schatten der Bäume hängt ein intensiver Geruch von Nadelhölzern und dem ersten Herbstlaub. Hinter Mikolajki fahren wir dann direkt am Ufer der hier scheinbar endlos ineinander übergehenden Seen. Am Löwentinsee (Niegocin) liegt der Ort Lötzen (Gizycko), ein Touristenzentrum der Umgebung. Die Hauptsaison ist allerdings bereits gelaufen- die Souvenirstände und Ausflugsdampfer am Jachthafen sind verwaist.

Masuren: Dichte Wälder und herrliche Seenlandschaft

Unseren ursprünglichen Plan, dem ganz in der Nähe (bei Rastenburg/ Ketrzyn) gelegenen ehemaligen Führerhauptquartier „Wolfsschanze“ noch einen schnellen Besuch abzustatten, verwerfen wir wieder- die direkte Strecke (592) ist gesperrt und den Umweg von fast einer Stunde wollen wir uns angesichts der fortgeschrittenen Zeit lieber nicht antun. Ohnehin hatte ich gemischte Gefühle bei diesem Vorhaben: Einerseits ist die „Wolfsschanze“ zwar geschichtlicher Zeitzeuge der Naziherrschaft und Gedenkstätte für das misslungene Attentat Graf Schenk von Stauffenbergs auf Adolf Hitler im Juli 1944- andererseits möchte ich mir aber auf gar keinen Fall einen wie auch immer gearteten „Führerkult“ nachsagen lassen. Stattdessen halten wir auf dem Rückweg noch kurz an der „Feste Boyen“, eine Mitte des 19. Jahrhunderts errichtete preußische Ringfestung zum Schutz gegen Angriffe aus dem Osten auf der Landenge der großen Seen bei Lötzen. Namensgeber war Feldmarschall Hermann von Boyen (1771-1848).

Pier am Jachthafen des Löwentinsees in Lötzen
Der Pier am Jachthafen des Löwentinsees (Jezioro Niegocin) in Lötzen (Gizycko). © Oliver Erdmann
Fahrpause an der Festung Boyen
Kurze Fahrpause an der Festung Boyen. © Oliver Erdmann

Masuren war so etwas wie der Scheitelpunkt unserer Reise. Die heutige Tagesetappe soll uns nun der polnischen Ostseeküste näherbringen. Auf dem Weg nach Elblag (deutsch: Elbing) wollen wir aber noch zwei Zwischenstopps einlegen.

Zunächst sei jedoch noch ein kleiner Hinweis in Sachen Navigation erlaubt: Mit dem Buchstaben „S“, also z.B. die „S16“ auf der wir uns die letzten Tage viel bewegt haben, werden in Polen so etwas wie bei uns die Bundesstraßen bezeichnet. Manchmal sind sie aber mittlerweile zu Schnellstraßen ausgebaut, so dass man sich unversehens auf einer mehrspurigen Autobahn wiederfindet, obwohl man eigentlich gemütlich über die Landstraßen brummen wollte. So ist es uns heute mehr als 30 km auf der „S7/ E77“ zwischen Olsztynek und Maldyty ergangen. Also aufgepasst bei der Straßenauswahl und Eingeben ins Navi. Ich konnte es auf der Karte nicht immer erkennen. Aber alles halb so schlimm, die Autobahnen sind überwiegend nagelneu, so dass es kaum Baustellen oder gar Straßenschäden gibt- im Gegensatz zu den schmalen Kreisstraßen in den ländlichen Gebieten.

Nun aber kurven wir also wieder entspannt über die von Pappeln und Eichen gesäumten, schmalen Alleen der polnischen Provinz. Es ist phantastisch, Motorradfahren wie ich es liebe. Ein unscheinbares, blaues Schild weist uns darauf hin, dass wir uns nun in Pommern befinden. Die Gegend ist landwirtschaftlich geprägt: Bauernhöfe ziehen an uns vorbei, Strohballen liegen zu hunderten auf weitläufigen Stoppelfeldern, Traktoren mit schwer beladenen Anhängern kreuzen unseren Weg.

Bald erreichen wir Kwidzyn, dass bis 1945 noch Marienwerder hieß. Hier liegen meine Wurzeln mütterlicherseits. Ich finde sogar noch die Straße, wo meine Mutter einst gelebt hatte, bevor sie im zarten Alter von kaum drei Jahren mit ihrer Familie in Richtung Westen fliehen musste. Entwurzelt und ihrer Heimat beraubt- ein Schicksal, das im Kriegswinter 1944/1945 viele tausende Familien im damaligen West- und Ostpreußen ereilte. Langsam durchfahren wir den Ort, ich möchte ein Gefühl für ihn bekommen, und halten noch kurz am St. Johann Dom, wo meine Mutter getauft wurde.

Es scheint gerade Schulschluss zu sein. Was mir auffällt: Nicht wenige der Teenager, in lockeren Gruppen oder sogar als Pärchen unterwegs, tragen militärische Uniformen, Tarnfleck oder schwarz mit weinrotem Barrett. Mir kommt es so vor, als würden sie bereits auf den Dienst mit der Waffe vorbereitet werden. Polen ist als direkter Nachbar vom Ukrainekonflikt besonders betroffen.

Die Marienburg ist das weltweit größte Bauwerk der Backsteingotik

Auf dem Weg nach Elbing halten wir noch kurz an der Marienburg, im 13. Jahrhundert vom Deutschen Orden errichtet, das als weltweit größtes Werk der Backsteingotik gilt. Auf eine Besichtigung habe ich in meinen dicken Motorradklamotten allerdings wenig Lust. So bleibt sie für mich heute erstmal nur ein wirklich beeindruckendes Fotomotiv.
Marienburg größtes Bauwerk der Backsteingotik
Die Marienburg gilt als das weltweit größte Bauwerk der Backsteingotik. © Oliver Erdmann
In Elbing wollen wir drei Nächte bleiben, um auch mal runterzukommen und nicht jeden Tag im Sattel sitzen zu müssen. Dafür haben wir uns ein hübsches, kleines Apartment in der sehenswerten Altstadt ausgesucht. Unser unmittelbarer Nachbar ist die ebenfalls auf das 13. Jahrhundert zurückgehende Nikolaikirche, die uns täglich mehrfach mit ihrem Glockengeläut erfreut. Elbing, das heutige Elblag, wurde im April 1945 fast vollständig zerstört, die Altstadt um die Jahrtausendwende dann wieder aufwendig und liebevoll rekonstruiert. Die schmucken Giebelhäuser reihen sich eng aneinandergeschmiegt um St. Nikolai. Cafés und Restaurants laden zum Verweilen ein.
Altstadt von Elbing
Die im Zweiten Weltkrieg zerstörte Altstadt von Elbing (Elblag) wurde um die Jahrtausendwende wieder aufgebaut. © Oliver Erdmann
Von Elbing nach Frauenburg, dem heutigen Frombork, ist es nur ein Katzensprung, nämlich 30 km auf der Kreisstraße 504. Dort wurde mein Vater geboren und hat seine ersten Lebensjahre verbracht, bevor auch er mit einem Teil seiner Familie im Januar 1945 die Flucht zu Fuß und mit Pferdewagen über das im letzten Kriegswinter zugefrorene Frische Haff, dann über Danzig weiter Richtung Westen, antreten musste. Ich möchte auch diesen Ort besuchen und auf mich wirken lassen.
Nikolaikirche von Elbing im nächtlichen Glanz
Die Nikolaikirche von Elbing im nächtlichen Glanz. © Oliver Erdmann
Oliver Erdmann vor dem Geburtshaus seines Vaters in Frauenburg
Der Autor dieses Reiseberichtes vor dem Geburtshaus seines Vaters in Frauenburg (Frombork). © Oliver Erdmann

Wir stoßen tatsächlich auch auf das Haus, in dem mein Vater aufwuchs. Mein Großvater betrieb an diesem zentralen Platz noch eine Bäckerei; zuletzt wurde es als Kino genutzt und steht nun offenbar schon seit vielen Jahren leer. Überhaupt kommt uns der kleine Küstenort, und insbesondere der Marktplatz mit der alten Pumpe, seltsam verlassen vor- irgendwie schade. Ich setze mich auf die Stufen vor dem Eingang und stelle mir vor, wie das Leben vor mehr als 80 Jahren hier wohl so war- denke an die Menschen meiner Familie, die einst im Gebäude hinter mir lebten.

In Frauenburg am Frischen Haff lebte und arbeitete einst der Astronom Nikolaus Kopernikus

Genau gegenüber des Platzes, auf der anderen Straßenseite der 504, steht der eindrucksvolle, im barock-gotischen Stil erbaute Frauenburger Dom. Der berühmte Mathematiker und Astronom Nikolaus Kopernikus hat dort gewohnt, gearbeitet und wurde nach seinem Tod hier auch beerdigt. So ist dieser Ort auch Anziehungspunkt für nicht wenige Touristen, die dafür extra hierher kommen. Von seinem Aussichtsturm hat man einen überwältigenden Blick über die gesamte Umgebung und das Frische Haff.

Frauenburger Dom und das Frische Haff
Blick auf den Frauenburger Dom und das Frische Haff. © Oliver Erdmann
Frauenburger Dom von Innen
Auch das Innere des Frauenburger Doms ist beeindruckend. Der berühmte Astronom Nikolaus Kopernikus wurde hier 1543 beigesetzt. © Oliver Erdmann

Weiter geht’s Richtung Nord-Westen, nach einer Weile begleitet uns der Fluss Nogat, der hier die Grenze zwischen Ermland-Masuren im Osten und Pommern im Westen bildet. Bald treffen wir auf die Küstenstraße 501, biegen nach rechts ab und fahren auf die „Frische Nehrung“, eine schmale, dicht bewaldete Landzunge, die das Haff von der offenen Ostsee trennt. Die Strecke ist ein Traum: Im Schatten geduckter Kiefern trägt uns die Africa Twin durch flache Kurven bis zum winzigen Hafen von Morska Przystań.

Oliver Erdmann Honda Africa Twin am Hafen von Morska Prystań
Der Autor auf seiner Honda Africa Twin am winzigen Hafen von Morska Prystań auf der Frischen Nehrung. © Oliver Erdmann

Die Grenze zu Russland, der Enklave rund um Kaliningrad (Königsberg), ist nur noch wenige Kilometer entfernt. Die einheimischen Fischer bereiten gerade ihre Netze für den nächsten Fang vor, eine alte Frau in geblümter Kittelschürze entschuppt auf der Mole eine Handvoll Meerforellen. Eine kleine Personenfähre verkehrt täglich mehrfach nach Frauenburg auf der gegenüberliegenden Seite des Frischen Haffs. Irgendwo hier muss auch mein damals siebenjähriger Vater im letzten Kriegswinter wieder festen Boden betreten haben, nachdem er mit seinen Geschwistern zehn Kilometer über Schnee und Eis gelaufen ist. Die weitere Flucht wurde mit Fahrzeugen und ab Danzig mit der Eisenbahn organisiert.

Weichselfähre bei Mikoszewo
Eine Fähre bringt uns ans andere Ufer der Weichsel. © Oliver Erdmann

Auch wir fahren jetzt auf der 501 immer weiter Richtung Westen, bis wir hinter Mikoszewo auf die Weichsel treffen. Eine einfache Autofähre bringt uns ans andere Ufer. In der Metropolregion „Dreistadt“, die fast ineinander übergehenden Städte Danzig, Zoppot und Gdingen, geraten wir in ein stressiges Wirrwarr von Schnellstraßen, Baustellen und Abfahrten- und sind froh, vor unserem Hotel in Gdingen, unweit des südlichen Piers, vorzufahren.

Dreimaster Dar Pomorza Südmole Gdingen
Der Dreimaster „Dar Pomorza“, ein ehemaliges Segelschulschiff, liegt jetzt als Museumschiff an der Südmole in Gdingen. © Oliver Erdmann
Denkmal Joseph Conrad Südmole Gdingen
An der Spitze der Südmole steht auch ein Denkmal für den Schriftsteller Joseph Conrad. © Oliver Erdmann

Die heutige Etappe hält alles für uns bereit: mehrspurige Autobahnen, herrliche Alleen durch idyllische Landschaften und sogar ein paar Kilometer auf weichen, sandigen Waldwegen. Aber der Reihe nach: Wir verlassen Gdingen und kommen prompt erstmal auf die kaum vermeidbare Schnellstraße S7. Hinter Kartuzy fahren wir auf dann wieder entspannt auf der 224 durch die wunderschöne „kaschubische Schweiz“, einer hügeligen Wald- und Seenlandschaft. So macht Motorradfahren Spaß! Das Navi führt uns kreuz und quer durch kleine Dörfer, Wälder und vorbei an noch hoch stehenden Maisfeldern.

Nach einer Weile fallen uns an den Straßenkreuzungen immer wieder Feuerwehr, Polizei und andere Helfer in Warnwesten auf. Alles deutet auf eine bevorstehende Veranstaltung hin. Plötzlich geht es nicht mehr weiter. Ein sehr bestimmt auftretender Polizist, der leider weder Deutsch noch Englisch versteht, weist uns mit seiner Kelle unmissverständlich auf einen Waldweg zu unserer Linken. Ich bin ratlos, mein Navi kennt diesen schmalen Pfad natürlich nicht, habe also überhaupt keine Ahnung, wo er hinführt. Das soll eine offizielle Umleitung sein? Der Mann mit der Kelle wird ungeduldig. Auf der Straße können wir nicht bleiben. Wir sind das einzige Fahrzeug weit und breit- niemand, an dem ich mich orientieren kann. Kurzentschlossen biege ich auf den schmalen Sandweg ab, der uns gefährlich schlingernd, schließlich wiegt die Honda mit dem ganzen Gepäck und zwei Personen drauf fast eine halbe Tonne, durch ein morastiges Waldgebiet führt. Der tiefe Untergrund verlangt einiges von mir ab. Meine Freundin muss vereinzelt absteigen, damit die Maschine etwas leichter zu manövrieren ist. Nach ein paar Kilometern haben wir tatsächlich wieder Asphalt unter den Rädern. Wie sich später herausstellt, war es ein Radrennen, was uns zu diesem kleinen Abenteuer verholfen hat.

Kolberg ist das bekannteste Seebad und größter Kurort Polens

Kolberg ist das bekannteste Seebad und der größte Kurort Polens. Wir haben für zwei Nächte in einem der zahlreichen familienfreundlichen Wellnesshotels eingecheckt, verbringen einen entspannten Tag Fahrpause: Spazieren über den Strand zur Mole, der Hafenpromenade und dem Leuchtturm, essen abends ein letztes Mal Piroggen. Morgen geht’s zurück nach Deutschland.

Uferpromenade von Kolberg mit Stadtstrand
Die Uferpromenade von Kolberg (Kolobrzeg) mit Stadtstrand, Leuchtturm und dem „Denkmal der Vermählung mit dem Meer“. © Oliver Erdmann
Leuchtturm von Kolberg Wahrzeichen
Der Leuchtturm von Kolberg ist das Wahrzeichen der Stadt. © Oliver Erdmann
Der Fahrspaß bleibt dabei leider auf der Strecke. Aufgrund einer Sperrung der Küstenstraße müssen wir kurz hinter Kolberg zunächst auf die bei uns eher unbeliebte Autobahn S6/E28 ausweichen. Der starke Südwestwind bläst unbarmherzig über die weitläufigen Ackerflächen und zerrt nicht nur an unseren Klamotten. Zum Glück haben wir es mit dem Wettergott noch nicht komplett verscherzt, der von oben wenigstens den Regen sparsam dosiert. Baustellenbedingt geht’s die letzten 30 Kilometer in Polen erneut über die Schnellstraße S3 rein nach Swinemünde. Auch die Wiedereinreise in die Bundesrepublik Deutschland verläuft unspektakulär und ohne Grenzkontrollen. Nur ein Fahrzeug des Zolls behält die Deutschen auf Shoppingtour im Nachbarland im Auge. Auf Usedom begrüßt uns dann sogar die Sonne. In Heringsdorf gibt’s ein Fischbrötchen -Matjes, was sonst- auf die Hand und einen schnellen Blick auf die Seebrücke, dann sind wir auch schon in Ückeritz. Unsere Pension mit Restaurant und Surfschule liegt lauschig und wild-romantisch direkt am „Achterwasser“. Was will man mehr?
Achterwasser Ückeritz Sturm
Am Achterwasser in Ückeritz auf Usedom kommt Sturm auf. © Oliver Erdmann
Der letzte Reisetag- und was für ein Ritt! Der erste Herbststurm des Jahres ist im Anmarsch. Im Frühstücksraum unserer Pension beobachten wir die Schaumkronen auf dem Achterwasser. Was tun? Lieber noch eine Nacht dranhängen oder losfahren? Wir entscheiden uns für Letzteres, die Wetterprognose für Morgen sieht ohnehin nicht viel besser aus. Die Abschlussetappe soll uns einmal quer durch Mecklenburg-Vorpommern zurück nach Hamburg bringen. Der Wind pfeift uns nur so um die Ohren. Die Sturmböen können auf den weiten, abgeernteten Äckern ordentlich Fahrt aufnehmen und ich muss die Maschine mit aller Kraft gegendrücken, um auf der Straße zu bleiben. Das habe ich so noch nie erlebt- die Fahrt wird mir noch lange eindrücklich in Erinnerung bleiben. Wir machen regelmäßig Pause, behalten Wind und Wetter im Auge, um sofort entscheiden zu können, wenn es nicht mehr geht. Als wir die Mecklenburgische Seenplatte erreichen, lässt der Sturm zum Glück ein wenig nach. Nach acht Stunden sind wir endlich zu Hause. Geschafft! In jeder Hinsicht.

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