Auch an Deutschlands östlichem Nachbarn geht der Trend zu charakterstarkem Whisky oder feinen Gin-Variationen nicht vorbei. Bewusstes Genießen in Maßen gibt dabei den Ton an. Zwischen Ostsee und Karpatenbogen treffen handwerkliche Brennkunst und altes Wissen auf frische Ideen und manchmal werden jahrhundertealte Spezialitäten wiederentdeckt.
Whisky und Gin erfreuen sich in Polen immer größerer Beliebtheit. Damit einher geht ein Bedürfnis nach dem besonderen Erlebnis: Marken laden zu Tastings, Workshops und Exklusiv-Events ein, bei denen Genießer die Geschichte, Rohstoffe und handwerklichen Verfahren hautnah erleben. Solche Formate sollen nicht nur Wissen vermitteln, sondern auch das Bewusstsein schärfen, dass hochwertige Spirituosen – ob Whisky oder Gin – mit regionaler Identität und anspruchsvoller Trinkkultur verbunden sind.
Den Trend haben polnische Unternehmen längst erkannt. Wie auch in Deutschland oder Skandinavien entstehen im ganzen Land seit einigen Jahren kleine handwerkliche Destillerien. Andererseits wagen auch Traditionsunternehmen wie Żubrówka den Schritt in neue Gefilde. So präsentierte die Destillerie, deren Hauptmarke bei uns als „Grasovka“ am Markt ist, unlängst einen Gin, der zwölf Kräuter aus dem Białowieża-Urwald vereint. Der „Gin Białowieski“ ist ein Signal, dass polnische Premiumprodukte sich mit eigenständigen Aromen profilieren wollen. Das zeigen vor allem kleinere Unternehmen.
Voll im Trend: Polnischer Gin
Am Anfang der polnischen Gin-Geschichte stand die Vision eines Barkeepers. Gemeinsam mit dem Unternehmer Marek Śliboda gründete Miłosz Szatka 2021 im schlesischen Sośnicowice (Kieferstädtel) die Tessellis Distillery. Der Name stammt vom lateinischen Wort für Mosaik und spielt auf das sorgfältige Zusammenfügen von heimischen Kräutern, Blüten und Früchten an. In einem 200-Liter großen kupfernen Destillierkolben entstehen hier verschiedene Ginsorten und mit verschiedenen pflanzlichen Bestandteilen, sogenannten Botanicals, verfeinerter Wodka. Besucher können unter Anleitung des Teams ihre eigenen Destillate kreieren. Bei Workshops wird der Destillationsprozess von der Theorie bis zur Praxis durchlaufen. Wer mehr wissen will, nimmt an der „Craft Spirits Masterclass“ teil und lernt, warum Gin und Wodka so unterschiedlich schmecken. Zudem kündigt Tessellis bereits die Produktion eines eleganten Whiskys an.
Die 3city Distillery im mondänen Seebad Sopot (Zoppot) ist eine der jüngsten Attraktionen im polnischen Gin-Universum. In der alten Gepäckhalle des Bahnhofs entstand seit November 2024 eine handwerkliche Destillerie mit Ladenbetrieb, die im Juni auch als Gin-Bar öffnete. Die Gründer Marta und Howard Chaganis wollten ihre britische Kultur in die Wahlheimat bringen. Bei Verkostungen können Gäste den frisch gebrannten London-Dry-Gin mit Botanicals wie Sanddorn, Zitrusfrüchten und Zitronengras nur wenige Meter vom kupfernen Destillierkolben entfernt probieren. 3city Distillery ist Produktionsstätte Bar, Eventraum und Treffpunkt in einem. Regelmäßige Tastings, Workshops und kulturelle Veranstaltungen machen die urbane Destille zu einem lebendigen Erlebnisort für neugierige Besucher.
Das eigene mit dem anderen verbinden
Im Ciemięga Tal bei Lublin überrascht die Dyssov Destillerie mit einer Kombination aus Museum, Labor und Event Location. In einem historischen Gebäude werden Obst-, Getreide- und Kartoffeldestillate, traditionelle Wodka-Sorten, Gin und Brandy hergestellt. Besondere Sorgfalt gilt der Auswahl lokaler Rohstoffe und dem Zusammenspiel von Tradition und moderner Technik. Besucher sind eingeladen, die Produktion vor Ort zu erleben, Fragen zu stellen und sich die verschiedenen Brennereiapparaturen anzusehen. Für Gruppen organisiert Dyssov geführte Tastings, die zeigen, wie viel Geschichte in einem Glas Gin steckt und wie junge Destillate im Eichenfass zu einem Edelbrand heranreifen. Gleichzeitig bietet die Brennerei Raum für Seminare und geschäftliche Events.
Im kaschubischen Podole Wielkie (Groß Podel) ist ein Hauch Vergangenheit konserviert geblieben. Die rund 170 Jahre alte gleichnamige Agrardestillerie wird heute als Familienbetrieb geführt. Ihr Signature-Schnaps ist eine bei uns wenig bekannte polnische Tradition: Die Okowita hat ihren Namen vom lateinischen Aqua Vitae und geht auf früheste Brennereitraditionen im polnischen Mittelalter zurück. Bei Podole Wielkie kommen dafür Roggen, Bier und Kartoffeln in Reinform zum Einsatz und das bis zu 44%-starke Destillat wird mindestens vier Jahre in alten Wein- oder Whiskyfässern gereift. Bei der Führung zeigen die Gastgeber den Unterschied zwischen einer landwirtschaftlichen und einer handwerklichen Brennerei und erklären, warum „Vom Feld in die Flasche“ für sie nicht nur ein Slogan, sondern gelebte Realität ist. Es wird im eigenen Betrieb angebaut, geerntet und destilliert. Mehr als 30 Medaillen belegen die Qualität ihrer Produkte. In der Scheune nebenan warten Kartoffelberge auf ihre Verwandlung in Hochprozentiges, während Besucher bei Käse und regionalen Spezialitäten die feinen Unterschiede erschmecken können.
Die klassische Okowita modern interpretiert gibt es auch in der Wolf & Oak Distillery südlich der niederschlesischen Metropole Wrocław (Breslau). Mithilfe von Crowdfunding und der Umwandlung in eine Aktiengesellschaft hat Michał Płucisz sein Hobby innerhalb von wenigen Jahren zum Beruf gemacht. Seit 2019 produziert er in der liebevoll renovierten Destille von Stanica (Haltauf) aus dem 19. Jahrhundert unter anderem Okowita, Brandy und Wodka. Eine große Premiere gab es im August, als Płucisz auf dem Sopot Whisky Festival seinen ersten fertig gereiften Single-Malt-Whisky vorstellte. Vom bewussten modernen Genusserlebnis inspiriert sind auch seine mit Frucht- und Blütenlikören veredelten Wodka-Sorten. Besonders sind zudem der 18 Monate in Eichenfässern gereifte Beerbrand sowie getorfter Wodka und Süßkartoffelwodka. Gäste erhalten beim Besuch der Destille einen Einblick in die hohe Kunst des Brennens und können die Spezialitäten vor Ort verkosten.