Mehr als 800 km zählt die legendäre „Transpirenaica“, der Fernwanderweg GR11 über die spanischen Pyrenäen. Durch grüne Vorgebirgs- und imposante Berglandschaften geht es von der Biskaya bis zum Mittelmeer.
Die Wolken haben sich über der Biskaya zusammengezogen. Kein wirklich seltenes Bild hier oben am Leuchtturm des Kaps von Higuer, unweit der baskischen Städte Hondarribia und San Sebastián. Nach einigen Tagen, die man sich in der eleganten Metropole San Sebastián mit ihrem muschelförmigen Traumstrand „La Concha“ und dem mittelalterlichen Nachbarort Hondarribia unbedingt gönnen sollte, brechen wir auf durch die sattgrünen Hügellandschaften des Baskenlandes.
Durch die grünen Täler von Navarra
Gestärkt durch die faulen Tage mit Pintxos, den raffinierten baskischen Tapas, und dem herrlichen, sprudelnden Txakoliwein, heißt es, den Rucksack zu satteln und die Wanderstiefel zu schnüren. 46 Etappen, immer der rot-weißen Markierung des GR folgend, über die Pyrenäen, die sich zunächst erst einmal als grüne, sanfte Hügelketten zeigen, liegen vor uns. Genauso sanft prasselt der Regen auf uns nieder auf der ersten Etappe am Stausee von Endera vorbei nach Bera de Bidasoa, wo bereits die erste Station in Navarra erreicht ist. Die Dörfer in den Pyrenäen Navarras haben ihre ganz eigene Architektur: Viel Holz und Fachwerk, mit Blumen geschmückte Balkone und sehr gemütliche kleine Familienhotels und Restaurants.
Der Weiterweg verläuft durch die grünen Täler von Bidasoa und Baztan durch eine von der Landwirtschaft geprägte Region mit Weiden, Wäldern und den typischen „Caserios“, einzeln stehenden Gehöften. Elizondo ist der nächste der charmanten Örtchen, wo wir uns direkt am durch den Ort fließenden Baztan-Fluss ein deftiges Abendessen und einen der für Navarra bekannten Rosé-Weine schmecken lassen. Bei den folgenden Etappen über den Pass von Urkiaga gewinnt der Weg zunehmend an Höhe. Es geht durch verwunschene Buchenwälder mit uralten Bäumen, vorbei an den Gehöften und Weiden mit Schafen, Kühen und Pferden.
In Burguete, einem der nächsten Etappenziele kreuzt der GR11 den von Roncesvalles herunterführenden Jakobsweg, und zahlreiche Pilger begegnen uns. Nach Villanueva de Aezkoa oder Hiriberri, wie der Ort auf Baskisch heißt, das hier im Norden Navarras vornehmlich gesprochen wird, und hinauf auf die Sierra de Abodi führt der Weg durch eine karge Weidenlandschaft auf der Hochebene, wo die Wanderhirten aus dem Roncal- und Salazar-Tal ihre Sommerweiden haben. Über uns kreisen zahlreiche Geier und unter uns im Norden liegt der dichte Wald von Iratí.
Richtung Isaba kommen sie dann endlich in Sicht: Die ersten hohen Gipfel der Pyrenäen. Wer Lust hat, kann jetzt schon den alternativen Weg über den Gipfel des vor uns liegenden Ezkaurre nehmen, wir aber entscheiden uns für die einfachere Version, vorbei an einer kleinen Ermita und einem Wasserfall durch die Ebenen von Belabarze zum, an einem rauschenden Bergbach, mitten im Gebirge liegenden Campingplatz von Zuriza. Kurz vor dem Campingplatz auf einer Anhöhe tauchen die gezackten Berggipfel über den Tälern von Ansó und Hechó in Aragonien auf, dessen Grenze wir kurz darauf überschreiten.
Auf ins Hochgebirge
Von jetzt an folgen die Etappen durch das Hochgebirge. An den „Aguas Tuertas“, den „gewundenen Wassern“ vorbei, die sich durch die Bergwiesen schlängeln, führt der GR11 am Bergsee Ibón de Estanés vorbei steil aufwärts zur Berghütte von Lizara. Die nächste, erst neu ausgewiesene Etappe des GR11, der sich in einem ständigen Wandel befindet, führt durch fast vergessene Täler entlang der Sierra de Bernera bis zur ersten Skistation der Pyrenäen, nach Candanchú. Von dort geht es durch die Hochgebirgswelt vorbei an zwei der charakteristischen Gipfel dieser Region, dem Pico de Anayet und seinem französischen Gegenüber, dem Midi D´Ossau, die einzigen Pyrenäenbergen vulkanischer Herkunft. Jetzt warten auf fast jeder Etappe die zahlreichen Ibones, wie die Bergseen hier heißen, für die Mittagsrast. Und es folgen eine ganze Reihe dieser herrlichen Seen in unvergleichlicher Kulisse.
Ab Sallént de Gállego kommen die anspruchsvollsten, aber für Bergliebhaber wohl auch schönsten Etappen des GR11 durch die Zentralpyrenäen. Ausgesprochen steile Auf- und Abstiege verlangen uns einiges ab. Aber immer wieder aufs Neue werden wir für die Mühen belohnt mit traumhaften Ausblicken auf die spektakulären höchsten Gipfel, die hier in Aragonien viele Male die 3.000er Marke überschreiten. Einsame Seen, Schnee- und Geröllfelder, die es zu queren gilt, Murmeltiere, Gämsen, Bart- und Lämmergeier und der stete Klang von rauschenden Bergbächen und Wasserfällen: Die ganze wunderbare Welt der Pyrenäen tut sich vor uns auf. Und nur Laufen, Schauen, Essen, Genießen und Schlafen. Und man denkt, sonst gäbe es nichts auf der Welt als diese Schönheit der Natur, die Geräusche des Wassers, die Sonne, die morgens hinter den Gipfeln emporsteigt und an den stillen Abenden in einem prächtigen Farbenspiel dahinter untergeht.
Durch die Bergwelt Aragoniens
Im Balneario von Panticosa, einem traditionellen Kurbad inmitten der Pyrenäen, kann man den müden Gliedern eine Massage und eine Ruhepause gönnen, bevor es weitergeht nach San Nicolás de Bujaruelo mit einem unvergesslichen Blick auf die Gletscherzunge des legendären Vignemale-Massivs, der letzten ihrer Art in den Pyrenäen. Und danach folgen die Etappen durch die herrliche, beeindruckende Natur des Nationalparks Ordesa y Monte Perdido. Das berühmte Pyrenäental von Ordesa am Fuss des Monte Perdido, der Abstieg in den Añisclo Canyon, immer am vielleicht schönsten Wasserfall der spanischen Pyrenäen entlang, die Blicke auf die gezackten Bergspitzen und unglaubliche Schönheit der Berge rund um das Tal von Pineta, wo wir uns eine Verwöhnnacht im Paradorhotel gönnen, bleiben unvergesslich.
Richtung Parzán verabschiedet sich der Monte Perdido und schenkt uns einen direkten Blick auf seinen Gletscher. Andere 3.000er Gipfel, wie der Posets und seine Nachbarn des Maladeta Massivs rücken auf den folgenden Etappen ins Blickfeld. Bis schließlich in Richtung Katalonien der höchste Berg der Pyrenäen, der Aneto mit seinen majestätischen 3.404 Metern auf einer ausgesprochen anstrengenden Etappe über riesige Felsblöcke und Geröllpassagen, die es zu meistern gilt, auftaucht. Und dann geht es hinüber nach Katalonien, wo uns eine traumhafte Bergwelt mit Hunderten von in der Sonne glitzernden Bergseen, Blumenalmen und verschwiegenen Pinienwäldern erwartet.
Die Pyrenäen Kataloniens - Bergseen und einsame Dörfer
Absoluter Höhepunkt ist zweifelsohne der Nationalpark von Aigüestortes mit seinem Glanzstück, dem Stausee von Sant Maurici, der gekrönt wird vom Panorama der zwei Bergspitzen der „Encantats“, der „Verwunschenen“. Es geht über kleine malerische Gebirgsorte, wie Espot, Estaon oder Tavascan, vorbei an verlassenen Dörfchen und Weilern, wie die Bordes de Nibrós, wo die Zeit hier in der Einsamkeit und Stille der Natur einfach stehengeblieben scheint.
Eine Rast auf den Steinbrocken inmitten des vorbeifließenden Bergbächleins und durch das Tal von Ferrera, wo mit dem Pico d´Estats der letzte der 3.000 Meter hohen Gipfel uns grüßt. Areu ist ein weiteres der kleinen katalanischen Gebirgsdörfer, in dem wir Station machen. Es folgen zwei Etappen durch Andorra, bevor mit der Cerdanya die letzten zehn Etappen, zunächst immer noch in Höhen um die 2.000 Meter, durch Katalonien Richtung Mittelmeer folgen. Der noch immer 2.900 Meter hohe Gipfel des Puigmal begleitet uns in Richtung Puigcerda, bevor eine ausgesprochen lange und steile Etappe bis Planoles folgt. Über das Bergkloster von Nuría steigen wir hinab durch die wildromantische Schlucht, die die meisten Besucher des Heiligtums nur von der Zahnradbahn aus erleben, bis Queralbs, einem ausgesprochen schönen Dörfchen im Tal.
Durch die Vorpyrenäen ans Mittelmeer
Über die Berghütte von Ulldeter kommt jetzt der langsame Abstieg durch die Wälder in die Dörfer der katalanischen Vorpyrenäen und der Vulkanregion der Garrotxa. Molló, Albanyà, Maçanet de Cabrenys, La Jonquera, die Burg von Requessens, das Kloster von Sant Quirze. Die Landschaft verändert sich, bekommt einen mediterranen Charakter mit Steineichen, wilden Oliven, durchsetzt von den Masías, den katalanischen Bauernhöfen.
Villamaniscle, Llança, das beeindruckende Kloster Sant Pere de Rodes hoch auf den Felsen und dann steil bergab zur Küste nach El Port de la Selva. Hier beginnt die letzte Etappe eines wunderbaren Weges und als wir dann windzerzaust am Cap de Creus stehen, wo die letzten Ausläufer der Pyrenäen wild ins Meer abfallen, mischt sich in die Freude, es geschafft zu haben, ganz langsam eine leise Wehmut und die unbändige Lust einfach umzukehren auf den GR11 und zurück in die traumhafte Bergwelt der Pyrenäen.
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